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Jägerschaft wichtig für klimafitte Lebensräume

15. April 2024

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Expertenkongress des NÖ Jagdverbands diskutierte Ziele, Strategien und Maßnahmen für Wildtiere und Lebensräume, um Klimawandel und Artenschwund zu begegnen.

Es braucht gemeinsame Strategien, eine arten- und strukturreiche Attraktivierung und eine zukunftsorientierte Lebensraumgestaltung und -vernetzung unter Mitwirkung natürlicher Prozesse, um die Lebensräume standortgerecht zu entwickeln sowie klimafit zu machen. Jägerinnen und Jäger spielen dabei eine wesentliche Rolle. Sie haben einen gesamtheitlichen Blick auf die Lebensräume, erkennen frühzeitig die Auswirkungen auf die Wildtiere, sind in der Lage einzugreifen, dienen als Mittler zur Bevölkerung und sind Informationsgeber für die Wissenschaft. Das waren die zentralen Ergebnisse des Expertenkongresses für Jägerinnen und Jäger „Zukunft. Lebensraum. Droht mit der Arten- auch eine Lebensraumkrise?“, bei dem Stakeholder aus Jagd, Wissenschaft, Land- und Forstwirtschaft, Politik und Umweltschutzorganisationen Lösungen für attraktive Lebensräume diskutierten. Die Veranstaltung war der Auftakt für den Schwerpunkt Lebensraum des NÖ Jagdverbands, im Zuge dessen in unterschiedlichen Veranstaltungen konkrete Maßnahmen zu einem Gesamtpaket geschnürt werden. Nur mit einer Vielfalt an Maßnahmen und ganzheitlichem Blick wird es gelingen, die heimischen Lebensräume fit für den Kampf gegen den voranschreitenden Klimawandel zu machen. Vor allem der Mensch und die zunehmende Freizeitnutzung bewirken einen Qualitätsverlust der Habitate, was Effekte auf die Pflanzen- und Tierwelt hat.

Pröll: Dialog versachlichen, Lösungen für Lebensräume erarbeiten

Als Beispiel für die Veränderung von Lebensräumen und Auswirkungen auf das Wild führte Niederösterreichs Landesjägermeister Josef Pröll die hochalpinen Bereiche und das Gamswild an: „Durch das früher eintretende Frühjahr sind Gräser und Kräuter zur Setzzeit bereits vertrocknet. Dadurch überleben Kitze das erste Jahr seltener und die Bestände kommen unter Druck. Durch die Hitze wechseln die Tiere in tiefere Lagen und üben Druck auf den Wald aus.“ Er fordert einen ganzheitlichen Blick auf das Ökosystem. Die Nutzung von Naturräumen durch den Menschen bedarf zudem einer breiten öffentlichen Diskussion, so etwa auch bei der von der Bundesregierung angekündigten Mountainbike-Strategie. Der NÖ Jagdverband stellt 2024 Foren zur Verfügung, so Pröll, denn „Jägerinnen und Jäger schaffen Lebensräume, hegen das Wild, erkennen Veränderungen und schaffen einen Interessenausgleich. Die Jagd ist Teil der Lösung.“

„Wir brauchen aber auch die richtigen Rahmenbedingungen, um das Handwerk Jagd ausüben und unsere Leistungen erbringen zu können“, betont Pröll und forderte u.a.:

  • Versachlichung des politischen Dialogs sowie Entscheidungen auf Basis von Fakten, wissenschaftlichen Studien und praktischen Erkenntnissen aus Jagd, Land- und Forstwirtschaft
  • Politische Biodiversitäts-Initiativen nicht nur für jeweils Land- und Forstwirtschaft, sondern endlich ganzheitlich denken und entsprechende Strategien schnüren
  • Partnerschaftsprinzip zwischen Land- und Forstwirtschaft, Jagd, Politik und Wissenschaft insbesondere vor Projekten zur Aufforstung oder Biotopentwicklung, um gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. Aus Sicht der Jagd sollten dabei vor allem Bejagungsstrategien und nötige Reviereinrichtungen, Äsung und Wildschadensverhütung, Baumartendurchmischung in den ersten Jahren sowie langfristige Ziele formuliert werden.
  • Wildtiergerechte Lebensraumentwicklung und Schaffen resilienter und klimafitter Lebensräume
  • Klare, praxistaugliche und vor allem zielorientierte Biodiversitätsstrategie mit entsprechender Förderung von Biodiversitätsleistungen insbesondere für Jägerinnen und Jäger, die diese Maßnahmen ehrenamtlich setzen
  • Förderung von überbetrieblichen Biodiversitätsprojekten und deren Vernetzung
  • Ausreichender Schutz der Einstände und Lebensräume von Wildtieren sowie Förderung von land- und forstwirtschaftlichen Praktiken, die das gewährleisten
  • Klare Regeln für Tourismus und Freizeitwirtschaft in punkto Lebensraumnutzung

Keynote Settele: Nachhaltige Bewirtschaftung für mehr Biodiversität

Die Ökosystemleistungen zum Decken menschlicher Bedürfnisse steigen, aber in punkto Schaffung und Erhalt von Lebensräumen und deren Habitatqualität ist die Entwicklung negativ, warnte Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und einer der Leiter des Berichts des Weltbiodiversitätsrats. Auf Basis des Berichts sieht er eine nachhaltige Jagd, Land- und Forstwirtschaft als Teil der Lösung. So sei eine Bereitstellung von Nahrung, blütenreichen Lebensräumen mit heimischen Pflanzenarten und Nistmöglichkeiten elementar, ebenso wie die Einrichtung von Schutzgebieten, die Erhöhung der Habitatvielfalt und die Pflege ursprünglicher Habitate in landwirtschaftlichen, naturnahen und urbanen Bereichen. Zudem sollten die Habitate vernetzt und verbunden werden. Settele führte auch Ziele des Kunming-Montreal Global Diversity Framework an. Diese sehen u.a. eine nachhaltige Bewirtschaftung und Intensivierung auf landwirtschaftlich und forstwirtschaftlich genutzten Flächen vor. Sie stellen den Erhalt der Biodiversität sicher, wobei entsprechende Praktiken kompensiert werden müssen.

Forschung: Vernetzung und maßvoller menschlicher Eingriff

Claudia Bieber (Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie), Florian Kunz (Universität für Bodenkultur, Institut für Wildbiologie), Katharina Lapin (Bundesforschungszentrum für Wald) und Walter Seher (Universität für Bodenkultur, Institut für Raumplanung) benennen im Diskussionsblock „Forschung“ den Klimawandel als größte Herausforderung. Ob ein Wald klimafit ist, muss man an unterschiedlichen Faktoren wie Standort, Bewirtschaftungszielen und Schutzzielen festmachen. Daraus kann man optimale Baumarten ableiten, muss aber auch eine genetische Vielfalt sowie Vernetzung der Lebensräume berücksichtigen. Beim Vertragsnaturschutz werden qualitativ hochwertige Flächen für die Verbindung ausgesucht und außer Nutzung gestellt. Solche Trittsteinbiotope sowie Mikrostrukturen, Bewirtschaftungsmaßnahmen, Grünbrücken, Wilddurchlässe und Begrünungen entlang von Gewässern bieten Möglichkeiten zur Vernetzung von Lebensräumen. Das ist die Grundvoraussetzung für einen genetischen Austausch zwischen Populationen und eine bestmögliche Anpassung an Lebensraumveränderungen. Wichtig für eine hohe Biodiversität sind zudem Totholz, die Erhaltung von Habitatbäumen und eine Strukturvielfalt auf horizontaler und vertikaler Ebene.

Die Jägerinnen und Jäger nehmen nicht nur mit den Maßnahmen im Revier, sondern vor allem als Informationsquelle und als Partner der Forschung eine zentrale Rolle für die Entwicklung attraktiver Lebensräume ein. Sie unterstützen das Monitoring, das für die Strategieentwicklung fundamental ist, und stellen einen Interessenausgleich her, sei es über die Wildökologische Raumplanung (WÖRP) oder im Austausch mit anderen Nutzergruppen. So sollte beim Bau von Siedlungen das Zusammenleben mit Wildtieren mitgedacht werden. Bei der Flächeninanspruchnahme braucht es eine maßvolle Verdichtung, um die Resilienz zu erhöhen und die Zerschneidung möglichst zu verhindern. Dazu sollten Anreizsysteme überdacht und an neue Ziele angepasst werden, aber auch der Fokus stärker auf die regionale gegenüber der kommunalen Raumplanung gelegt werden. Der Mensch sollte auch Flächen definieren, auf denen sich die Natur entfalten kann, denn aktuell stecken Baumarten wie die Buche ihre ganze Kraft in den Nachwuchs, um eine Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu ermöglichen, die der Mensch kaum ersetzen kann. Eine weitere wichtige Maßnahme sind naturnah kultivierte private Gärten.

Praxis: weniger Bürokratie, mehr Anreiz

Im Praxisteil diskutierten Leopold Obermair (NÖ Jagdverband), Johannes Schmuckenschlager (LK Niederösterreich), Nikolaus Lienbacher (LK Salzburg), Martin Gruböck (Pro Natur), Stefan Schörghuber (Österreichische Bundesforste) und Stefan Wukowitsch (Erzbischöfliches Forstamt). Sie sprechen sich für eine Senkung des Bürokratieaufwands und eine Erhöhung der Biodiversitätsförderungen aus, die auch über eine Finanzierung aus der Wirtschaft passieren kann. Das würde bäuerliche Betriebe stärker zu Landschaftserhaltern machen und den Zielkonflikt Produktivität versus Biodiversität entschärfen. Angesichts von zunehmenden Extremwetterereignissen braucht es mehr Stabilität vor allem im Wald, die durch eine Durchforstung und Waldverjüngung unter Erhaltung stabiler Einzelbäume erreicht wird. Das kommt auch den Wildtieren zugute, da mehr Licht am Boden das Wachstum von Kräutern und Gräsern fördert, die als Äsung zur Verfügung stehen und das Risiko für Wildschäden reduzieren. Grundlage resilienter Lebensräume ist daher eine nachhaltige Bewirtschaftung.

Als Maßnahme im Kampf gegen den Klimawandel ist die dynamische Waldtypisierung ein Instrument, das versucht, Baumarteneignungen unter Rücksichtnahme von Standort und Klimaszenarien festzustellen. Anzudenken ist zudem eine „Assisted Migration“ von Baumarten, da natürliche Prozesse angesichts des voranschreitenden Klimawandels zu langsam verlaufen. Im Wald sind Anreizsysteme und Kooperation wichtig, denn die Unterstützung der Entwicklung klimafitter Wälder ist eine Aufgabe, die Jäger und Forstmänner gleichsam betrifft. Auch die Freizeitnutzung ist ein Thema, denn sie bedeutet für das Wild einen Energieverlust durch Beunruhigung, zudem ziehen sich die Tiere in Einstände zurück, die weniger optimal sind und wo sie auch schwerer regulierbar sind. Hier sollten klare Regeln gesetzt werden.

Politik: Nachhaltige Land- und Forstwirtschaft braucht Jagd

Auf internationaler, EU- und nationaler Ebene gibt es zahlreiche Initiativen, die sich den Themen Biodiversität und Lebensraum widmen. Darauf gingen Alexander Bernhuber (ÖVP) und Thomas Waitz (Die Grünen) im Gespräch mit Landesjägermeister Josef Pröll und Josef Settele ein. Sie betonten, dass die Jagd Teil der Bewirtschaftung ist, ein Interesse an einer hohen Biodiversität hat und Wildtiere einen Platz im Ökosystem haben müssen. Einige waren sich die Diskutanten, dass es für eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft die Jägerschaft braucht, die den Interessenausgleich zwischen Nutzergruppen sucht. Es darf nicht passieren, dass der Druck auf die Bewirtschafter steigt, die wirtschaftlichen Ziele der Nachhaltigkeit aber außer Acht gelassen werden. Es muss zudem wieder Wissen geschaffen werden, was zur Sensibilisierung, einen sachlichen Dialog und Wertschätzung für Naturräume beiträgt.